Liebe Leser,
in großen Schritten geht es Richtung Weihnachten, was für Roman und mich bedeutet, dass so langsam die Zeit des intensiven Tape Schauens beginnt. Die Weihnachtspause ist mit den am Samstag beginnenden Bowl-Spielen, dem Ende der NFL Saison und dem Ansehen der ersten Draftprospects für den kommenden April, in den letzten Jahren bei mir immer sehr footballlastig.
Ich habe bisher in jedem Jahr das Gefühl gehabt, dass sich gewisse Einstellungen und Haltungen ändern, oder anpassen. Konkret geht es dabei vor allem um die Frage welche Kriterien, bei welcher Position, bei welchem Spieler relevant sind. Welche Spielertypen gibt es? Was ist dafür wichtig? Welche Limitierungen kann ein Prospect bei den Profis überwinden? Welche Eigenschaften sind für Position X gerade besonders gefragt? In welche schematischen Richtungen entwickelt sich die NFL gerade und was sind die Konsequenzen für die Prospects?
Ich glaube, dass sich jeder, der sich halbwegs ernsthaft mit dem Draft beschäftigt, diese allgemeinen Fragen stellen sollte. Der Draft bzw. die Evaluation junger Spieler für den Leistungssport ist die vermutlich ungenauste Sportwissenschaft die wir haben und zwar sportartenübergreifend. Das Ganze macht es mitunter ziemlich frustrierend. Was mich den persönlichen Fragen führt, die vermutlich genauso wichtig sind.
Was sind meine Tendenzen bei gewissen Positionen? Neige ich dazu gewisse Spielertypen in einer Positionsgruppe besser zu sehen als andere? Wenn ja, kann ich das nachvollziehbar begründen? Kann ich definierbare Tendenzen aufzeigen, bei Spielern, bei denen ich vermeintlich richtiglag? Habe ich wichtige Kriterien außer Acht gelassen, oder klar falsch gewichtet? Haben sich Beobachtungsfehler eingeschlichen? Das führt zu der elementaren Frage, was kann ich verändern, um Fehleinschätzungen zu verringern?
Ich vermute, oder ich hoffe zumindest, dass sich jedes NFL Front Office diese Fragen stellt. Denn die Trefferquote ist zum Teil immer noch bemerkenswert mau. Ich bin mir übrigens gerade deswegen der Grenzen unserer Beobachtungen bei Derdraft.de völlig bewusst. Wir interviewen die Spieler nicht, wir kennen keine Verletzungsberichte, wir haben nicht mal im Ansatz das Wissen von NFL Coaches, oder General Managern. Deswegen vergeben wir die Grades eben auch ohne die Kriterien des Charakters und der Verletzungen. Im Idealfall interpretieren wir Tape richtig und können so den Spielertyp, sowie Stärken und Schwächen herausarbeiten und mit den athletischen Werten in einen Kontext setzen.
Bezogen, konkret auf 2018 hat sich bei mir sicherlich die Perspektive etwas verändert. Ich habe mit Nicolas Martin in diesem Sommer zwölf Spiele für GFL Radio und TV kommentiert. (zwei im Bildstream Marburg gegen Allgäu und Stuttgart gegen Saarland) Ich habe mich, im Rahmen der Vorbereitung also mit Mannschaften und deren Spielidee beschäftigen können und zu Beginn der NFL und College Saison gemerkt, dass das auch die Art wie ich Footballspiele schaue, verändert.
Dazu kommt, dass man sich hoffentlich in Bereichen wie Analyse und Verständnis weiterentwickelt, wenn man sich ernsthaft mit einem Thema befasst. Eine Erkenntnis, die für mich immer wichtiger geworden ist, Strukturen und Coaching sind wichtiger denn je. Das macht im Übrigen auch die Gesamtevaluation eines Drafts sehr kompliziert. Dies ist einer der Gründe, warum wir keine Noten an die Teams unmittelbar nach dem Draft vergeben. Das sind die inhaltlich vielleicht dümmsten Artikel in jedem Draftjahr, aber sie werden gelesen, genauso wie Mock Drafts im August.
Es ist kompliziert. Aber ich freu mich drauf. Auf die Debatten mit Roman, auf die Diskussionen mit euch, gerne über Twitter, hier in den Kommentaren, oder anderswo. Spieler zu sehen, einzuschätzen und sich darüber auszutauschen bereitet mir auch im 5. Jahr von Derdraft.de immer noch ungemeine Freude. Die Tatsache, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen sich Tape der Spieler ansehen, macht die Debatten zu einzelnen Spielern und Teams nur noch interessanter. DerDraft steht quasi direkt vor der Tür, Zeit loszulegen.
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